2015-04-04

Atlantis: die Insel, die nicht untergehen will

„Viele Publizisten dieser Art glauben vermutlich, was sie
schreiben,  Sogar mir ging es so, daß ich glaubte,  was sie
schrieben, bis ich die Tatsachen nachzuprüfen begann.
Der  Fehler  ist  eben der,  daß sich bei  diesen Autoren
immer  einer  auf  den  anderen  verläßt  und  unbesehen
nachplappert,  was  der  andere  behauptet.  In  einer  Art
Schneeballsystem ergeben  sich  daraus  immer  üppigere,
noch fantastischere und noch haltlosere Hypothesen.“
- Lawrence D. Kusche, amerikanischer Publizist

„Aber das bedeutet eben doch, daß nur das wortwörtlich
von  Platon  übernommen  wird,  was  in  eine  Theorie
hineinpaßt,  Widersprüchliches als Mißverständnis oder als
Übermittlungsfehler erklärt werden muß.“
- Ernst von Khuon

Es könnte der Stoff für ein Hollywood-Drama sein. Ein mächtiges Imperium voller Reichtümer beherrscht tyrannisch große Teile der Welt. In ungezügeltem Eroberungsdrang schickt es sich an, auch den Rest zu unterwerfen, und sendet ein Heer aus, gewaltiger, als man je eines gesehen hat. Unaufhaltsam schreitet es voran, Land um Land wird besetzt, denn der Überlegenheit des Gegners können selbst die ältesten und größten Nationen nicht widerstehen. Da gelingt es einer kleinen Stadt freier, unbeugsamer Bürger, sich wie das Gallierdorf des Asterix der mächtigsten Militärmaschinerie aller Zeiten zu widersetzen. Eine Handvoll aufrechter und heldenhafter Kämpfer, aus einer Siedlung von kaum 20 000 Einwohnern stammend, besiegt das Imperium und befreit edelmütig die besetzten Länder. Und schließlich versinkt das Herz des geschlagenen Reichs, von den Göttern gestraft, in einer Naturkatastrophe, nach der die Welt nie mehr sein wird, wie sie vorher war.

Diese dramatische Geschichte ist jedoch kein Kintopp-Drehbuch. Ihr Autor ist Platon, ein Mann aus dem antiken Athen. Dessen Gesamtschriftwerk umfasst mehr Seiten als die Bibel, doch der Allgemeinheit bekannt ist er hauptsächlich durch die Fragmente jenes Epos, das von Kampf und Untergang der sagenhaften Insel Atlantis berichtet.

Seit ihrer postumen Veröffentlichung vor beinahe zweieinhalb Jahrtausenden beschäftigt die Atlantika die Träume ihrer Leser. Ist sie ein Report lange zurückliegender Ereignisse oder romanhafte Fiktion eines greisen Fabulierkünstlers? Gab es die sagenhafte Insel Atlantis? Zwar fällte schon Platons prominentester Schüler, Aristoteles, das vernichtende Urteil, dass derjenige, der Atlantis erfunden habe, es auch versinken ließ, und immer wieder wurde es als größter Aprilscherz aller Zeiten angesehen. Trotzdem behandelten viele antike Autoren - auch wenn sie mehr oder minder verdrehte Einzelheiten wiedergaben - Atlantis als historische Tatsache. Die nach Platons Tod verfasste klassische Literatur wimmelte von Inseln und Kontinenten, die Atlantis ähnlich sind. Im späten Mittelalter tauchte es auf manchen Seekarten als noch nicht lokalisierte Insel auf. Während des Zeitalters der Entdeckungen, genauer der Eroberungen, wurde erfolglos nach den Schätzen des verlorenen Atlantis gefahndet: trotz Platons Meldung, dass die Insel völlig versunken sei, hofften einige spanische Seefahrer, auf dem Weg in die Neue Welt Atlantis zu passieren und die Reichtümer seiner alten Hauptstadt plündern zu können. Auch Amerika selbst wurde versuchsweise mit Atlantis identifiziert: Man schlug sogar ernsthaft vor, das neuentdeckte Südamerika mit dem Namen der versunkenen Insel zu belegen.

Die Suche nach Atlantis als dem verlorenen Paradies aber begann erst, als sich im Bewusstsein der Christenheit die Atlantissage mit der Legende vom Garten Eden zu vermischen begann. Diese andere, jüngere Tradition ist erst wenig mehr als hundert Jahre alt: Sie wurde 1882 von Ignatius Donnelly mit dem Erscheinen seines Buches „Atlantis: The Antediluvian World“ begründet. Sein Atlantis hat mit dem Platons nur noch den Namen gemein. Das Donnellysche Atlantis ist identisch mit allen Inseln der Glückseligen, Paradiesen und Ländern der ewigen Jugend, die weltweit in Mythen und Märchen erscheinen. Es wird zur Heimat und Herkunftsort der Götter, zur Wiege der Zivilisation und zur Wurzel aller Hochkulturen der Alten und Neuen Welt zugleich.

Das ist Fiktion und stützt sich weder auf Platon noch auf eine andere glaubwürdige Quelle. Doch Donnelly beeinflusste die moderne Vorstellung von Atlantis weitaus stärker als Platon: Viele seitdem publizierte Bücher greifen auf Donnellys Fantasien und unwissenschaftliche Argumente zurück, als seien sie bewiesene Tatsachen. Seitdem gilt Atlantis im Volksglauben als versunkenes Zentrum einer einstigen Hochkultur, deren Zivilisation Spuren auf der ganzen Erde hinterlassen haben soll. So zweifelhaft Donnellys Ansichten sein mögen, er traf seine Leser am richtigen Punkt: dem Traum von einer glücklichen, verlorenen Vergangenheit. Damit verankerte er Atlantis in den Bestsellerlisten.

Die dauerhafte Popularität dieser neuen Legende führte leider auch dazu, dass sich vielfältige Sektierer, Spintisierer und Spinner an den Boom hängten. Damit geriet Atlantis in die Welt des Okkulten: Die neuen Autoren spannen ebenso fantasievolle wie unglaubhafte Geschichten um einen Mythos, von dem sie nicht mehr als den Namen gewusst zu haben scheinen. Platons Atlantis blieb auf der Strecke.

Das wird sofort ersichtlich, wenn man die Aussagen mehrerer dieser Autoren miteinander vergleicht und feststellt, dass sie jeweils keine Ähnlichkeit miteinander noch mit dem Atlantis Platons haben. Die Atlantisse der Moderne, wie sie von einer HelenaBlavatsky, einem Rudolf Steiner oder einem Edgar Cayce erfunden wurden, sind zueinander hoffnungslos widersprüchlich. Freilich beansprucht jeder von ihnen die Wahrheit für sich - aber sollte man nicht meinen, dass alle das gleiche Atlantis beschreiben müssten, erhielten sie ihre Informationen aus glaubwürdigen Quellen?

Literaturhistorisch gesehen ist dies nur die logische Fortsetzung des Prozesses, der die Mythen der Antike entstehen ließ. Denn Donnelly und seine Epigonen tun im Grunde nichts anderes als Homer in seinen Epen um den Trojanischen Krieg: Sie sammeln Legenden aller Art und versuchen, aus ihnen ein kohärentes System zu bilden. Daran ist nichts Schlechtes. Die Legitimation ist die gleiche, mit der zum Beispiel auch Gustav Schwab seine unsterblichen „Sagen desklassischen Altertums“ schrieb, die wir alle aus unserer Jugendzeit kennen. Sie jedoch quasi für die Bibel des antiken Griechenlands zu halten, muss in die Irre führen. Denn Homers „Odyssee" ist wie die „Sagen" des Gustav Schwab ein Roman des griechischen Mythos, nicht der Mythos selbst. Man glaubte nicht an Homer oder Platon, wie man an das Neue Testament glaubt: Solch gelehrtes Schrifttum bewegte sich auf Ebenen, die vom Volksglauben und der echten Verehrung der alten Götter weit entfernt war.

Das muss auch für Platon gelten. Was er über Atlantis schrieb, war seine dramaturgische Bearbeitung, aus der durch den Vergleich mit anderen Quellen herausgefiltert werden muss, was authentisch sein kann und was sich als seine eigene Zutat erkennen lässt. Bis heute wurde kein archäologisches oder geologisches Zeugnis gefunden, das sich zweifelsfrei einer Kultur zuordnen ließe, welcher der Name Atlantis zugesprochen werden kann. Doch wenn Platons Atlantika nur sorgfältig genug auf ihre Einzelheiten abgeklopft wird, lässt sich vielleicht dennoch erkennen, ob Aristoteles mit seinem vernichtenden Urteil Recht hatte oder ob sie sich doch auf ältere Quellen stützt. Und auch, welche Motivation sich hinter ihrer literarischen Umsetzung verbirgt.

1990 haben wir dies mit der Erstauflage der Atlantika versucht. Das vorliegende Buch "Atlantika - Was Platon wirklich sagte" bei Amazon-DE ist eine vollständig überarbeitete und aktualisierte Neuauflage.

Das Video zum Buch: 

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